Anlässlich seines Geburtstags: Interview mit dem R.U.S.Z-Geschäftsführer, Lobbyisten mit Lötkolben und >wildem Hund< Sepp Eisenriegler
Lieber Sepp, Du bist ein 1953er Jahrgang. Magst Du ein paar persönliche Eindrücke aus Deiner Kindheit im Nachkriegs-Wien und von Deinem ersten Aufbegehren mit uns teilen?
Ich war ein „Wirtschaftswunderkind“ und musste somit nie Hunger leiden. Als Kleinkind bekam ich bereits das frische Gemüse aus unserem Schrebergarten. Später schaffte mein nachkriegsgeschädigter Vater, Lokführer bei den ÖBB, wie viele in seiner sozialen Blase, eine Kühltruhe an und holte im Halbjahresrhythmus ein halbes, frischgeschlachtetes Schwein von einem befreundeten Bauern. In Ermangelung eines eigenen Autos, was viele seiner Arbeitskollegen bereits hatten (aber die lagen ja in ihrer Freizeit prinzipiell darunter), war er immer mit 2 Koffern und einem Rucksack per Bahn unterwegs. Küche und Bad unserer engen ÖBB-Genossenschaftswohnung wurden zum Schauplatz für den „Sautanz“: Meine Mutter stand mit hochrotem Kopf am Herd, um Schmalz auszulassen, mein Vater verrührte das, in Milch-Mehrwegflaschen mitgebrachte Blut mit den „Abfällen“, die der befreundete Arbeitskollege, gelernter Fleischhauer, beim Zerlegen der großen Fleischstücke zur Verfügung stellte, in der Badewanne zu einem Blunzen-Brat, das er nachher mit einem großen Trichter in die gereinigten Därme füllte.
Auch wegen dieses, mir nicht nachvollziehbaren Verhaltens meines Vaters, gab es Konflikte, als ich in die Pubertät kam. Ich rebellierte dagegen, die alten Kleidungsstücke meiner größeren Brüder anzuziehen und warf meinen Eltern kleinbürgerliches, angepasstes Verhalten vor.
Wie hast Du als junger Erwachsener die wilden 1970er in Österreich erlebt? Wir haben gehört, Du warst damals schon ein “wilder Hund”?
Bereits in der Unterstufe des BRG 20 plante ich mit einigen Mitschülern eine Band zu gründen und Beatles-Hits nachzuspielen. Mit 13 kam ich erstmals in eine gemischte Klasse. Da war´s mit der Aufmerksamkeit für den Unterricht vorbei. Meine Noten sackten in Richtung Genügend ab und hatten Familienkonferenzen zur Folge. Und wieder wurden mir die beiden älteren Brüder als Role Models vorgehalten. Da tat es schon gut über den familiären und schulischen Tellerrand zu schauen und die Hippie-Bewegung mit Sex, Drugs and Rock ‘n' Roll vorzufinden. Ein Schulwechsel in ein Musisch-Pädagogisches ORG schaffte Erleichterung. Die ehemalige Lehrerbildungsanstalt verschaffte mir durch geringere Anforderungen eine Verschnaufpause, Latein startete neu. Der klassische Gitarrenunterricht war keine Herzensangelegenheit, schuf aber die Basis für mein Repertoire an Dylan-, Cat Stevens- und Donovan-Songs. Die beginnende Ära des Austro-Pops ließ mich auch nicht unbeeindruckt: Jack Grunsky, die Milestones, die Schmetterlinge mit dem späteren Ostbahn-Kurti. Und dann kam da Hofa vom Wolferl Ambros! Als Ambros-Interpret konnte ich einige Erfolge feiern. Überhaupt, wenn ich dann später als Schilehrer in Mühlbach am Hochkönig „Schifoan“ anstimmte. Apropos: Ich habe lange an meinem „Wilder Hund“-Image gearbeitet: Die Erstbefahrung einer Steilwand-Abfahrt vom Hochkönig-Gipfel (Birgkar-Rinne) mit dem Mono-Schi hat extrem dazu beigetragen. Da waren Breite, Krumme und Lahning-Ries vom Schneeberg vergleichsweise langweilig dagegen.
Apropos 1970er: Dem Bruno Kreisky verdanke ich übrigens meine gründliche, langjährige [sic!] akademische Ausbildung. 15 Jahre studieren wäre sich sonst trotz vieler Nebenjobs (Schilehrer, Bierführer, Taxifahrer, Kellner, Pädagogischer Assistent) nicht ausgegangen.
Es heißt ja, in Wien und Österreich war die 1968er-Revolte verspätet und einigermaßen mild. Ein großer zivilgesellschaftlicher Durchbruch war die Besetzung der Hainburger Au 1984. Da warst Du dabei. Erzähl eine Anekdote oder was Du damit verbindest!
Das ist im Prinzip richtig. Beispielsweise die RAF war mir immer suspekt. Die Auflehnung gegen das Establishment kann nicht mit Gewaltexzessen Erfolg haben! Mir war schon die Scheiß-Aktion von Otto Mühl & Co. an der Uni Wien zu viel. Da lobe ich mir die Besetzung der Hainburger Au. – Auch dort ist es teilweise hart zugegangen. Nicht nur wegen der Kälte besonders nächtens im Zelt. Dieses Gemeinschaftsgefühl, diese Solidarität im Kampf um die gemeinsame gute Sache: Das war schon was. Und wie dann der Humanökologe Peter Weish, dem ich heute noch freundschaftlich verbunden bin, neben seinen Vorlesungen, vorbeigekommen ist und die Aufgeregten beruhigt und uns allen organisatorische Hinweise gegeben hat, da wurde einer der Altvorderen zum Vorbild.
Wie hat sich dieser Hintergrund auf Dein späteres Engagement vom Geografielehrer zum Umweltberater und Vorkämpfer in Sachen Reparatur und Kreislaufwirtschaft ausgewirkt? Und wenn Du an Deine Visionen im Jahr 1984 in Bezug auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz denkst (also 14 Jahre vor der Gründung des R.U.S.Z): Welche Visionen sind heute 2021 bereits verwirklicht und was steht noch auf der Agenda?
Ohne diesen Hintergrund hätte ich die vielen Jahre wirtschaftlicher Liebhaberei, die nötig waren, um meine Mission der Ressourcenschonung ordnungspolitisch durchzusetzen, nicht durchgehalten. Es gab nicht nur die „Mühen der Ebene“, es war auch das eine oder andere „Tal der Tränen“ dabei. Heute gibt es einen EU Green Deal, ein Kreislaufwirtschaftspaket mit Aktionsplänen und das Recht auf Reparatur. Die Senkung der Mehrwertsteuer für alle Reparaturen braucht nur noch einen kleinen Schubs um durchgesetzt zu werden. Mehrere Länder bieten schon Reparaturförderungen als Ausgleich für bestehendes Marktversagen an. NextGenerationEU schafft wirksame Anreize die Corona-bedingt darniederliegende Wirtschaft als zirkuläres Wirtschaftssystem aufzubauen. CO2-Steuern, später eine sozial ausgewogene ökologische Steuerreform, die zu wahren Preisen für Neuprodukte führen, waren noch nie so nah in Griffweite! Es hat sich also ausgezahlt so lange durchzuhalten, bis sich Reparatur zum einträglichen Geschäftsmodell entwickelt hat. Jetzt haben wir ein Social Franchising-System entwickelt und erprobt: Europa braucht dringend eine seriöse Reparatur-Infrastruktur. Wozu hätten wir uns denn durch Standardisierung und Entwicklung von unabhängigen Testmethoden eingesetzt, wenn es dann keine bequem erreichbaren Reparaturdienstleister*innen gibt.
Und ich gebe nicht auf, bis wir im EU-Wirtschaftsraum ausschließlich langlebige, reparaturfreundlich konstruierte, re-use taugliche Produkte kaufen können. Bei Elektro- und Elektronikgeräte wird dieses unglaubliche Ziel bereits 2025 erreicht sein!
Lieber Sepp, danke für das Interview. Du hast gesagt, Du wünschst Dir noch ein Lied zum Geburtstag?
Ja, ich widme allen meinen Freund*innen und Mitstreiter*innen den Song “Leichtes Gepäck” von Silbermond. All you need is less!