Wir wissen schon lange was 'reparierbar' bedeutet - jetzt gibt es einen EU-Standard dafür!
Letzte Woche haben sich die drei Jahre der Auseinandersetzung mit der Industrie endlich ausgezahlt, denn die europäische Norm EN 45554:2020 wurde veröffentlicht. Dieses offizielle Dokument mit einem wenig aufregenden Namen beschreibt "allgemeine Methoden zur Bewertung der Möglichkeit, energiebezogene Produkte zu reparieren, wiederzuverwenden und aufzurüsten". Im Klartext: Es ist ein Maßstab dafür, wie einfach es werden soll, ein elektrisches Gerät zu reparieren. Es ist auch ein großer Meilenstein im Kampf für gerechte(re) Rahmenbedingungen für Reparatur.
Warum ist das eine große Sache?
Wir wollen Elektrogeräte, die wir besitzen, zu einem günstigen Preis reparieren lassen, um sie länger nutzen zu können. Das ist nicht nur deshalb wichtig, weil wir Geld sparen wollen, sondern auch, weil die Herstellung neuer Produkte eine riesige und unterschätzte Triebkraft des Klimawandels ist. Wenn wir also vermeiden wollen, unseren Planeten weiter aufzuheizen, müssen wir aufhören, Einweg-Elektronik zu produzieren, und anfangen, mehr zu reparieren. Und zwar sofort.
Das Problem ist, dass die Industrie dies noch nicht von sich aus tut. Daher muss die Ordnungspolitik eingreifen, nicht reparierbare Produkte verbieten und den Verbraucher*innen helfen, die haltbarsten Produkte zu identifizieren, um sie in die Lage zu versetzen, bessere Kaufentscheidungen zu treffen. Und in der EU haben sich unsere politischen Entscheidungsträger längst entschlossen, dies zu tun.
Aber hier liegt der Haken: Diese Politiker wissen nicht, was ein reparierbares Produkt ist. Wenn sie die Hersteller fragen, werden sie Ihnen alle sagen, dass ihre Produkte reparierbar sind. Wenn sie uns fragen, dann sind einige Geräte eindeutig reparabler als andere, und einige sind offen gesagt überhaupt nicht reparierbar.
Um also die Reparierbarkeit zu regulieren, brauchten wir eine allgemein akzeptierte Methode, um zu messen, wie reparierbar energiebezogene Produkte sind. Das ist es, was eine CEN-CENELEC-Arbeitsgruppe (JTC 10, WG 3, zuständig für Reparatur, Re-Use und Upgrade) in den letzten drei Jahren entwickelt hat. Ich hatte den Vorsitz dieser Arbeitsgruppe über knapp 2 Jahre inne, um zu gewährleisten, dass die Interessen der Industrie-Lobbyisten, trotz zahlenmäßiger Überlegenheit, in einem ausgewogenen Verhältnis zu den Interessen der NGOs, der Kommissions- und Ministeriums-Vertreter*innen zum Tragen kommen.
Es wurde schon früh beschlossen, dass die neue Norm eine Toolbox sein sollte, eine Sammlung von Kriterien und Methoden, aus denen je nach Produkt eine Auswahl getroffen werden sollte. Zunächst legten wir Kriterien fest, um zu entscheiden, auf welche Teile des Produkts sich die Bewertung konzentrieren sollte, seien es physische Teile oder Firmware oder Software. Dann identifizierten wir verschiedene Dimensionen der Reparierbarkeit. Einige sind Eigenschaften des Produkts selbst, wie die Art der Befestigungselemente und die zur Demontage des Produkts erforderlichen Werkzeuge. Einige stehen im Zusammenhang mit dem spezifischen Wissen der Hersteller: z.B. Diagnose-Software, ohne die unabhängige Reparaturbetriebe nicht einmal mehr den Fehler-Code am Display einer Waschmaschine löschen können. Oder die Verfügbarkeit von Ersatzteilen und technischen Informationen.
Gut, besser, am besten: Die am besten reparierbaren Produkte sind solche, die sich ohne, oder mit nur wenigen einfachen Werkzeugen zerlegen lassen. (Tabelle aus EN 45554:2020, die die Reparaturfähigkeit nach den erforderlichen Werkzeugen klassifiziert)
Wir haben dann Bewertungstabellen für all diese Aspekte erstellt. Schließlich haben wir eine flexible Aggregationsformel entwickelt, um alle identifizierten Parameter in eine einzige Reparierbarkeitsbewertung zu überführen und gleichzeitig die spezifischen Kriterien und ihre Gewichtung an die Art des bewerteten Produkts anzupassen.
Es war nicht einfach, einen Konsens über all dies zu erreichen. Es gab eine intensive Debatte über jeden Aspekt. Die große Mehrheit der Arbeitsgruppe waren Vertreter*innen der Hersteller. Während einige bereit schienen, ihre Produkte und Dienstleistungen zu verbessern, wollten einige nur sichergehen, dass das, was sie bereits herstellen, weiterhin verkaufbar bleibt. Und ehrlich gesagt, schienen einige fest entschlossen zu sein, den Prozess bei jedem Schritt zu sabotieren.
Dennoch machten diejenigen, die auf Veränderungen warten, Fortschritte. Wir schrieben einen Vorschlag nach dem anderen, und mehrere Entwürfe wurden von den nationalen Vertreter*innen abgelehnt. Aber im November 2019 wurde der Text schließlich genehmigt - und wir haben nun einen offiziellen Standard für die Bewertung der Reparaturfreundlichkeit.
Dies ist ein Meilenstein. Zum ersten Mal überhaupt ist unser Standpunkt zur Reparaturfreundlichkeit nicht nur die Meinung des Reparatur- und Service-Zentrums R.U.S.Z und einiger uns nahestehenden Organisationen wie iFixit. Stattdessen verfügt die EU nun über ein allgemein akzeptiertes Dokument, das eine Hierarchie der Reparaturmöglichkeiten festlegt. So ist es nun offiziell, dass beispielsweise Schnappverschlüsse, die beim Versuch, ein Produkt zu öffnen, abbrechen, es unreparierbar machen. Oder dass die Verwendung exotischer Schraubentypen in einem Produkt die Wartung und Reparatur kompliziert und damit verteuert. Wenn die Hersteller ihre Servicehandbücher nur dem autorisierten Werkskundendienst und wenigen Service-Partnern zur Verfügung stellen, werden sie in Hinkunft Probleme haben. Und wenn sie wirklich wollen, dass ihre Produkte so oft wie möglich repariert werden, sollten sie Ersatzteile an jeden liefern, der danach fragt.
Dafür kämpfen wir schon seit vielen Jahren. Mit dem federführend von R.U.S.Z-Technikern entwickelten, österreichischen Standard ONR 192102:2006 und seinem Update 2014, gemeinsam mit dem zuständigen Ministerium BMNT und dem österreichischen Normungsinstitut ASI, hat es begonnen. Die ONR 192102:2014 „Gütezeichen für langlebige, reparaturfreundlich konstruierte elektrische und elektronische Geräte“ diente als Vorlage für die EU-Norm. Jetzt haben wir es auch in der EN 45554:2020 schwarz auf weiß!
Aber wir sind noch nicht fertig. Jetzt muss diese Toolbox angewendet werden. Dazu sind produktgruppenspezifische Standards und unabhängige Testmethoden nötig. Letztere werden im Projekt PROMPT vom R.U.S.Z (mit-)entwickelt.
Jetzt, da wir uns alle darüber einig sind, was "reparierbar" eigentlich bedeutet, gibt es keine Ausreden mehr. Ab 2025 wird es nur mehr langlebige, reparaturfreundlich konstruierte E-Geräte geben!